Um eine optimale Funktionalität zu gewährleisten, werden auf dieser Website Cookies eingesetzt. Wenn Sie die Nutzung der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weiterführende Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

OK

Wirtschaftliches Interesse versus Mieterinteresse

– Publikationen

vhw, Verbandszeitschrift des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung e. V.

Abwägung bei Abriss und Neubau von Wohngebäuden

VON RECHTSANWALT DR. BASTIAN HIRSCH

Viele Kommunen wollen mehr Wohnraum durch Nachverdichtung schaffen. Bei manchen Projekten besteht der wirtschaftlich sinnvollste Weg darin, das Mietshaus,das Anforderungen an Ausstattung, Grundrisse und Gebäudedämmung nicht erfüllt, abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, bei dem das Grundstück besser ausgenutzt wird. So entstehen am Ende mehr Wohnflächen. Außenparkplätze wandern in eine neue Tiefgarage unter den Neubau. Die rechtlichen Hürden, die damit einhergehen, dass den Mietern gekündigt werden darf, sind hoch. Was müssen Eigentümer beachten?

Dem Interesse der besseren Grundstücksausnutzung stehen auf der anderen Seite die Interessen der Mieter gegenüber, die vielleicht schon lange in dem Gebäude leben und ungern ausziehen möchten. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und die Gerichte haben an den Eigentümer für eine solche Kündigung hohe Anforderungen gestellt. Oftmals kommt es in der Praxis zu einvernehmlichen Einigungen mit den Mietern. Der Eigentümer muss ein berechtigtes Interesse nachweisen, warum er seinen Mietern kündigen will. Zu diesen Gründen zählt, dass er ein aufwendiges Refurbishment des Gebäudes plant, bei dem zum Beispiel die Wohnungsgrundrisse angepasst werden, also etwa aus einer großen zwei kleine Wohnungen gemacht werden sollen. Auch bei grundlegenden Veränderungen der Bausubstanz, wenn er einen Altbau zeitgemäß sanieren und umfassend umbauen will, ist eine Kündigung vielfach notwendig.

Häufig sind zudem Fälle, bei denen das Mietshaus abgerissen werden soll, um das Grundstück besser auszunutzen. Sei es, dass das Areal recht groß und das darauf errichtete Gebäude verhältnismäßig klein ist und es sich zudem nicht rechnen würde, die Immobilie zu sanieren, um sie an zeitgemäße Ansprüche – etwa hinsichtlich Ausstattung, Brandschutz, Heizungstechnik und Energieeffizienz – anzupassen. Teilweise lässt das Bau- und Bauplanungsrecht ein größeres und höheres Gebäude mit mehr Wohnungen auf der Parzelle zu. Gerade in Ballungsräumen hoffen viele Kommunalpolitiker, dass sich durch solche Nachverdichtungsmaßnahmen der Wohnraum erhöhen lässt. In diesen Fällen kann der Vermieter gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 BGB seinen Mietern ordentlich kündigen.

Vermieter muss erhebliche wirtschaftliche Nachteile haben – Gewinnmaximierungsabsichten reichen nicht

Der Vermieter muss allerdings genau belegen, dass er an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird, sofern er das Gebäude in seiner bisherigen Form belassen und er dadurch erhebliche finanzielle Nachteile erleiden würde. Der Abriss und Neubau sollte nachweisbar der sinnvollste Ausweg sein. Dabei muss immer zwischen den Interessen der Mieter, welche der Gesetzgeber und die Gerichte hoch ansetzen, und andererseits den Verwertungsinteressen des Eigentümers abgewogen werden. Letztere sind zu bejahen, sofern der Erhalt des Bestandsgebäudes unrentabel ist und einem Neubau keine Hindernisse seitens des Denkmalschutzes oder sonstiger bauordnungsrechtlicher Art entgegenstehen. Rein spekulative Gewinnaussichten, die er mit einem Rückbau und Neubau hätte, bleiben außer Betracht. Vielmehr sind für die Begründung der Kündigung weitere substanzielle Fakten hinzuzuziehen, so etwa der Kaufpreis der Immobilie, die im vermieteten Zustand erzielbare Rendite und die Möglichkeiten des Vermieters, auf anderem Wege – ohne Mieterkündigung – seine Rentabilität und die Gebäudesubstanz zu verbessern.

Der Eigentümer ist dabei jedoch nicht gehalten, die für seine Mieter günstigste Lösung zu wählen. Will er ein Gebäude durch einen Neubau ersetzen, so ist es grundsätzlich zweitrangig, ob er auch mittels Modernisierungsmaßnahmen eine Rendite hätte erzielen können. Der Abriss ist nur dann als angemessene Art der Verwertung zu beurteilen, wenn die Maßnahme dem Gebot wirtschaftlicher Vernunft entspricht. Rein spekulative Interessen schließen eine Kündigung gemäß § 573 BGB aus: Dies gilt beispielsweise für den Fall, dass ein Erwerber das Grundstück in Kenntnis der Unwirtschaftlichkeit kauft, um im Hinblick auf eine sofortige Verwertung das darauf errichtete Gebäude abzureißen und das Areal neu zu bebauen.

In der Praxis sollte der Vermieter für die stichhaltige Begründung seiner Kündigung aussagekräftige Unterlagen zusammenstellen. Dazu zählt eine erfolgreiche Bauvoranfrage beziehungsweise Baugenehmigung für den geplanten Neubau, Renditeberechnungen durch die bestehende Vermietung, eine Kostenkalkulation einer Bestandssanierung gegenüber einer Neubebauung mit besserer Grundstücksausnutzung etc.

Widersprechen die Mieter der Kündigung und sind keine anderen einvernehmlichen Lösungen mit ihnen zu finden, landet der Fall vor Gericht. Dann muss sich der Eigentümer darauf einstellen, detailliert nach seinen finanziellen Verwertungsabsichten und Renditen befragt zu werden. Daher sollte er diese bereits im Vorfeld berechnen und dokumentieren.

Dabei lässt sich nicht sagen, welche konkreten Unterlagen ein Richter bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung will. Manche erwarten eine Baugenehmigung, andere sind mit einem Bauantrag zufrieden – dies hängt immer vom Einzelfall ab. Dabei gilt, dass der Eigentümer, der die Kündigung ausgesprochen hat, immer beweispflichtig ist. Außerdem gibt es nicht allzu viele beispielhafte Entscheidungen, da es häufig zu außergerichtlichen, einvernehmlichen Einigungen mit den betroffenen Mietern kommt (siehe unten). Hilfreich kann hier bereits im Vorfeld die Beratung und Unterstützung durch einen Anwalt sowie einen Steuerberater sein.

Form und Fristen der Kündigung

Im Kündigungsschreiben muss der Vermieter sein berechtigtes Interesse darlegen; andernfalls ist sie unwirksam. Die Frist bestimmt sich nach § 573c Abs.1 S. 1 BGB. Sie ist spätestens am dritten Werktag eines Monats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Sie verlängert sich, falls der Mieter längere Zeit in der Wohnung lebt. Ist er mindestens fünf beziehungsweise acht Jahre in der Wohnung, verlängert sie sich um jeweils drei Monate. Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoller ist, zunächst die Kündigung auszusprechen, um dann das Gespräch mit den Mietern hinsichtlich eines alternativen Auflösungsvertrags zu führen oder ob zunächst diese Gespräche geführt werden sollten, um danach – falls sie nicht den gewünschten Erfolg bringen – ordentlich zu kündigen. Auf alle Fälle ist ein einvernehmlicher Aufhebungsvertrag mit dem Mieter einer risikobehafteten Kündigung vorzuziehen. Denn einerseits könnten Mieter gegen die Kündigung rechtlich vorgehen. Andererseits ist unklar, ob die Gerichte der Kündigungsbegründung des Vermieters folgen. Darüber hinaus birgt eine streitige Auseinandersetzung das Risiko einer zeitlichen Verzögerung des Projekts und damit verbundenen (Mehr-)Kosten.

Je nach Mieterstruktur werden solche Aufhebungsverträge unterschiedlich ausfallen. Sie sollten damit verknüpft sein, dass der Eigentümer den Mietern eine Abstandszahlung bietet beziehungsweise die Umzugskosten sowie gegebenenfalls anfallende Maklerkosten für die neue Wohnung des Mieters trägt. Erfahrungsgemäß wird es in einem Gebäude, in dem viele Studenten leben, einfacher sein, mit diesen eine Übereinkunft zu finden, weil sie zumeist nur wenige Monate oder Jahre in der gleichen Wohnung leben. Mieter, die hingegen seit vielen Jahren oder Jahrzehnten in ihren vier Wänden leben, Kinder haben und/oder etwas älter sind, werden sich unter Umständen mit einem Auszug schwertun. Wahrscheinlich haben sie noch Altverträge mit einem niedrigen Mietzins. Für eine adäquate neue Wohnung müssten sie wahrscheinlich mehr bezahlen. Hier ist Empathie und Fingerspitzengefühl gefordert.

Ein Aufhebungsvertrag mit dem Mieter ist an keine Fristen gebunden; das Mietende kann frei vereinbart werden. Gleiches gilt für etwaige Zahlungen an den Mieter. Es gilt zu beachten, dass im Wohnraummietrecht keine Zwangsvollstreckungsunterwerfung möglich ist (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 Zivilprozessordnung – ZPO).

Bei unrechtmäßiger Kündigung kann der Mieter Schadenersatz einklagen

Ob eine Kündigung nach § 573 BGB erfolgsversprechend ist, orientiert sich immer am konkreten Einzelfall. Ob die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen (und auch bewiesen werden können), ist im Streitfall gerichtlich zu entscheiden. Bei Aussprache einer unberechtigten Kündigung drohen dem Vermieter gegebenenfalls Schadenersatzansprüche der betroffenen Mieter. Daher sollte der Eigentümer stets im Vorfeld eine (kaufmännische) Risikobewertung vornehmen. Ratsam ist es, eine einvernehmliche Lösung mit den Mietern zu finden, mithin einen Aufhebungsvertrag mit zusätzlichen finanziellen Anreizen für den Mieter. Diese Lösung ist in der Regel kurzfristiger zu erzielen. Eine gerichtliche Auseinandersetzung kann sich im Einzelfall mehrere Jahre hinziehen.

Originaltext in der vhw, Verbandszeitschrift des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung e. V.